Neuerscheinung 2024

Der Vagabund in mir!

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Der Vagabund in mir!

Verschiedene Texte

Wisst Ihr wo die Parteien sind, wo sind sie geblieben?

Wisst Ihr wo die Parteien sind, wo sind sie geblieben?

10.10.2024 :: René H. Bartl
Nach meiner Pensionierung blicke ich immer wieder selbstkritisch zurück auf mein Leben. Habe ich etwas Gutes getan? Etwas Sinnvolles für die Nachkommen? Hat es sich gelohnt, sich zu engagieren, zu leben?
 
Ich denke ja! Nicht nur Gutes, aber doch einiges Gutes. Meine grösste Enttäuschung? Ich wurde nicht immer dort gehört, wo ich gehört werden wollte! Meine Botschaften konnte ich nicht immer wirkungsvoll anbringen. Vielleicht war ich manchmal zu schrill, zu kritisch oder zu ehrlich und zu direkt. Ich habe meine Projekte auch der Öffentlichkeit mitgeteilt. In den Wandelhallen der Parlamente, persönlich an PolitikerInnen und schriftlich an die Parteizentralen. Hatte ich ein schlechtes Verkaufskonzept? Kein gutes Marketing? Vielleicht ja, ich hatte keine Lobby und keine Lobbyisten. Ich hatte den Ehrgeiz, als Mensch gehört zu werden, nicht als Lieferant für wahlwirksame Argumente und einseitige Argumentationen, die dann nach den Wahlen wieder im Nirgendwo verschwinden, sondern nachhaltig wirksam. Und ich hatte gute Angebote!
 
Ich bin ein parteiloser, eher mitte-linker, aber konsensorientierter Staatsbürger, der sich nicht Parteiparolen, die dazu dienen die eigene Position stur zu vertreten, unterwerfen kann und will. Ich bin ein Mensch, der sich mit den Anliegen aller Menschen, jeder Couleur von links bis rechts, auseinandersetzt und nach umsetzbaren pragmatischen Lösungen sucht. Darum habe ich den Schritt aus der Wirtschaft in die soziale Arbeit gewagt. Darum bin ich Sozialpädagoge mit Leib und Seele.
 
Als Autor des wohl meistbesuchten Flüchtlingsprojektes – Parcours „Hilfe, ich bin ein Flüchtling“ habe ich 1991, in der Zeit der grossen 700 Jahr-Feier der Eidgenossenschaft, versucht, einer breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich mit der Situation der Flüchtlinge dieser Zeit möglichst real auseinanderzusetzen. Mein Credo war „Sinn macht auch in dieser Thematik ein Gastrechtprinzip“. Ein an Leib, Leben und Freiheit gefährdeter Mensch sollte ein Gastrecht erhalten, dies aber nicht gesetzeswidrig ausnützen dürfen. Wer etwas erhält, soll auch etwas dafür zurückgeben. Unter denselben Bedingungen, wie wir alle bereit wären, einen Menschen bei uns aufzunehmen, der unserer Hilfe bedarf. Ca. 12.000 Personen in der ganzen Schweiz (Schulen und Gemeinden) haben an diesem Projekt teilgenommen. Eine Teilnahme dauerte ca. zwei Stunden. Aktuelle Flüchtlinge waren an Posten als Schweizer Beamte miteinbezogen, Teilnehmende waren als Flüchtlinge unterwegs. Unzählige schriftliche und mündliche Reaktionen waren Zeugen von grosser persönlicher Anteilnahme und Betroffenheit. Es war ein sehr erfolgreiches Projekt. Zeitungen in allen besuchten Regionen und Kantonen schrieben darüber, es gab unzählige Radiosendungen und das Fernsehen war wiederholt dabei. Etwa CHF 500.000,00 habe ich, zusammen mit meiner Mitarbeiterin, investiert und ca. CHF 180.000,00 wieder „eingespielt“. Die damalige schweizerische Flüchtlingshilfe war nicht bereit, dieses Projekt, gegen eine Entschädigung für erbrachte Leistungen, zu übernehmen. PolitikerInnen und Parteien zeigten nur dort Interessen, wo sie öffentlich auftreten und sich kurzfristig profilieren konnten. Parteien neutralisieren sich offensichtlich lieber gegenseitig und können im Nachhinein behaupten, dass ihnen dieses Thema immer wichtig gewesen ist.
 
Während einer Krisenzeit, hatte ich mich auch kurzfristig für das „Kindersorgentelefon“ eingesetzt.
 
Für meine Firma „BüroBartlBeratungen (BBB)“, habe ich 1998 in Gugisberg mein eigenes Tagungs- und Schulungszentrum eröffnet. Zuvor war ich seit 1988, im Rahmen meiner selbständigen Beratertätigkeit, in Heimen und Bildungshäusern unterwegs.
 
Als freiberuflich tätiger Supervisor, Organisationsberater und Coach (vor allem von Krisensituationen und mit div. Lernaufträgen) schloss ich 2002 mein in Guggisberg geführtes Tagungs- und Schulungszentrum und baute es in eine Institution um, die Jugendliche aufnahm, welche aus Familien, Schulen, Heimen, Kliniken, etc. ausgeschlossen wurde. (www.77B.ch)
 
2003 habe ich die Stiftung „Wohn-, Schul- und Therapieheim“ und damit die «WG-Guggisberg 77B» gegründet. Der Grund für mein Engagement lag wiederum in einer Notlage. Das Bundesgericht hatte (ca.) 2001 den dreimonatigen Ausschluss von Kindern und Jugendlichen aus dem Schulunterricht für rechtsgültig erklärt. Mein Nachfragen bei zuständigen Stellen und PolitikerInnen ergab, dass es damals weder ein Konzept noch ein Projekt und schon gar kein Geld zur Finanzierung von unterstützenden Massnahmen gab (Brief vom damaligen Regierungsrat Herrn Annoni). Ich wusste, dass Jugendliche, welche für drei Monate aus der Schule ausgeschlossen werden und Familien, die im Umfeld stigmatisiert sind, innert drei Monaten weder integriert noch akzeptiert sind. Da wären andere und umfassendere Massnahmen oder Begleitungen notwendig. Aus meiner inneren Wut entwickelte ich ein eigenwilliges Konzept, welches ich auch umgesetzt hatte.
 
Als Unternehmer im Sozialbereich wollte ich beweisen, dass eine Institution finanziell günstigen und effizienter geführt werden kann, als wenn sie subventionsabhängig den Weg durch die Unendlichkeit der Administration und die Abhängigkeit ihrer Geldgeber gehen muss. Wie ich es im Erstberuf als Möbel- und Bauschreiner und später als Verkaufsberater für sieben Fabriken im Innenausbau in jungen Jahren gelernt hatte, wollte ich mit einem qualitativ hochstehendem, nachhaltig wirksamen Angebot überzeugend wirken. Wie immer war ich mir den Beweis schuldig, dass man auch im Sozialbereich mit unkonventionellen Konzepten bestehen kann. Meine Institution hat es geschafft. Die Erfolge bewiesen es. Ca. 85% aller Jugendlichen traten in eine geordnete Situation aus. Alternativen zu unserer Institution waren im Vorfeld geschlossene Institutionen oder auch das Gefängnis. Beides Angebote, welche die Unterbringungskosten meiner Institution bei Weitem übertrafen.
 
Die Hauptursache zum Erfolg lag vor allem darin, dass wir mit wenigen (10) allgemeingültigen Regeln arbeiteten. Bei allen Jugendlichen (Mädchen und Knaben) berücksichtigten wir ihre individuelle Situation, ihre besonderen Eignungen und Anlagen. Sie erhielten einen „Massanzug“ in den Bereichen Wohnen, Schule, Hauswirtschaft und Arbeitsprojekt. Dank der engen Begleitung durch eine persönliche Bezugsperson musste nicht die gesamte Belegschaft über alles informiert sein (sparte viele Sitzungen ein). Mit dem Herkunftssystem (die Familie) und dem Begleitsystem (Behörden, Beiständinnen und Beiständen, Psychiaterinnen und Psychiatern, etc.) wurde immer und offen kommuniziert. Es fanden vierteljährliche Standortbestimmungen statt, an denen sich unsere Institution über ihren Erfolg oder Misserfolg gegenüber den Eltern und den Finanzgebern rechtfertigen musste. Steuerzahlende finanzieren alle sozialen Institutionen und sollen wissen, was das genau kostet (öffentlich bekannte Vollkostenrechnung). Institutionen haben einen sozialen Auftrag und müssen diesen wirtschaftlich vertretbar umsetzen.
 
Es wurde nicht über einen Zeithorizont, sondern über das Erreichen gesetzter Ziele gesprochen. Die Jugendlichen standen in Eigenverantwortung und unter einem gewissen Erfolgsdruck, denn sie bestimmten die Dauer ihres Aufenthaltes mit (Eigenverantwortung). Dank kurzer Entscheidungswege und flexiblen Strukturen finanzierte sich unser Projekt im Durchschnitt und im Vergleich mit Institutionen im selben Segment günstiger und die Aufenthaltsdauer wurde so kurz wie möglich gehalten.
 
Ich habe dies politischen Parteien und PolitikerInnen aus allen Richtungen versucht nahe zu bringen. Von „gut dies zu wissen“ bis „es gibt halt noch zu wenig Menschen mit genügend Sachverstand“ bis zu „keiner Reaktion“, habe ich alles erfahren. Es wurde mir gesagt, dass nicht klar sei, ob dieses Thema im kantonalen oder im interkantonalen Interesse steht – am Ende immer wieder dasselbe – Stillschweigen – oder „Kein Interesse“! Oder ist es etwa ein heisses Eisen, wenn ein Mensch einmal wirklich Zivilcourage und Eigeninitiative zeigt? Diese beiden Worte fliessen doch wie flüssige Butter durch die Münder der PolitikerInnen. Oder ist das Heimwesen als solches ein heisses Eisen? Aufgrund von Strukturanpassungen im Kanton Bern, wäre mein Projekt in der heutigen Zeit leider nicht mehr umsetzbar! Die Abhängigkeit von kantonalen Subventionen verhindern heute ein unternehmerisches und selbstverantwortetes Wirken. Dass eine Kontrolle sein muss, ist selbstredend, die wurde durch das kantonale Jugendamt auch in der „WG-Guggisberg 77B“ regelmässig durchgeführt.
 
Erfahren habe ich, dass vor allem Projekte Erfolg haben, die von PolitikerInnen initiiert werden. So durfte ich z.B. von 1982 bis 1985 in Münchenbuchsee die Arbeitsgruppe „Projekt Jugendarbeit Münchenbuchsee“ präsidieren, nach erfolgreichem Vernehmlassungsverfahren und Bestätigung durch den Kanton, konnte ich als Gründungspräsident den Verein „Jugendarbeit Münchenbuchsee“ gründen, und diesen weitere 12 Jahren als Präsident) führen und begleiten.
 
In einem weiteren Projekt durfte ich als Präsident der Arbeitsgruppe „Domino“ die drei Ortsvereine HGTV Münchenbuchsee, TV Zollikofen und HBC Moosseedorf zu einem Gesamtverein „Handball Grauholz“ zusammenführen, als Gründungspräsident und anschliessend als Präsident auch führen und begleiten. Es gäbe noch über viele weitere, zum Teil kleinere Projekte, zu berichten.
 
Nach meinem Umzug nach Guggisberg wurde ich angefragt, ob ich den Verein Jugendarbeit der Region Schwarzenburg, Guggisberg und Rüschegg präsidieren wolle. Ich übernahm diese Aufgabe gerne und leitete auch den Zusammenschluss mit der Jugendarbeit in Riggisberg, heute „Kinder- und Jugendfachstelle Region Gantrisch (Boxfish)“.
 
Meine Erkenntnis aus meiner Arbeit: „Es ist weitaus einfacher einen Auftrag, für den man angefragt wird, auszuführen, als aus Eigeninitiative etwas ins Leben zu rufen.“
 
So stimmt es vielleicht doch, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Hätte ich eines meiner Projekte im fernen Ausland, in der dritten Welt, realisiert – dort wo die Not der Ärmsten grösser ist (was ich als junger Mann ursprünglich auch vorhatte), wäre mir der Zuspruch wohl gewisser gewesen – die Realität zeigt, dass da mehr Prestige und Spendengelder fliessen! Die Armut im eigenen Land wird gerne verdrängt. Das könnte sich in Zukunft verändern, denn die Armut nimmt zu.
 
Die Not der Menschen in unserer ersten Welt werden weitgehend ignoriert – oder haben Sie schon einmal etwas von der „ATD vierte Welt“ gehört? (All Together for Dignity – eine Internationale Bewegung, die gemeinsam für die Würde aller steht. Sie ist eine Nichtregierungsorganisation ohne religiöse oder politische Zugehörigkeit. Ihr Ziel ist die Überwindung der Armut zusammen mit Menschen, die diese erleben). Von einer Organisation, deren Mitglied ich bin, die sich auch für notleidende Menschen in der ersten Welt einsetzt? Es gibt auch einen Ableger in der Schweiz. Dieser Organisation sollte viel mehr Beachtung geschenkt werden.
 
Als Mitglied von FICE (Fédération Internationale des Communautés Educatives ist ein weltweites Netzwerk für Menschen und Organisationen, die im Bereich der alternativen Kinder- und Jugendbetreuung arbeiten. Der Schwerpunkt der Tätigkeit dieses Netzwerkes liegt in der Verbesserung der außerfamiliären Erziehung) würde ich mir wünschen, dass auch diese wichtige Organisation in der Schweiz mehr Beachtung finden würde.
 
In absehbarer Zeit (sie hat schon begonnen), werden wir gezwungen sein, uns mit den aktuellen und ernst zu nehmenden Problemen von Menschen am Rande der Gesellschaft „notgedrungen“ und intensiver auseinanderzusetzen. Wenn zeitaktuelle Themen endlich einmal ernst genommen und sich bestehende und mehr Menschen, Institutionen, Politiker und Politikerinnen, Parteien, etc. sich ernsthaft darum kümmern, dann werden wir mehr verstehen und merken, dass wir handeln müssen. Bis dahin muss es uns aber noch wesentlich schlechter gehen als heute. Alle, die sich bereits heute im Hintergrund, still und ausdauernd, professionell oder ehrenamtlich, engagieren, werden an Wertschätzung gewinnen.

Meine Hoffnung liegt in der aktuellen Jugend, denn sie wurde in eine Welt hineingeboren, welche sie nicht geschaffen hat, aber darin (über-) leben müssen. Ich mag zwar immer noch zu bezweifeln, ob die „neuen Generationen“ es dann besser machen, denn sie werden, wie es die Geschichte zeigt, möglicherweise weiterhin von Macht, Markt und Finanzinteressen geprägt sein! Ich hoffe, dass ich mich täusche!