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Der Vagabund in mir!

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Der Vagabund in mir!

Verschiedene Texte

Über ATD vierte Welt

Über ATD vierte Welt

14.10.2024 :: René H. Bartl

ATD vierte Welt setzt sich für Menschen in Armut in der ersten Welt ein. Ich bin Mitglied, weil dieses Thema in der ersten Welt, in der wir leben dürfen, massiv verdrängt wird.
Armut in der ersten Welt darf es offenbar gar nicht geben! Und doch gibt es sie!

Es erschreckt mich immer wieder, wenn ich sehe und höre, dass Menschen in der Schweiz weit unter dem Existenzminimum leben müssen und die Armut zunimmt. Vor allem alleinerziehenden Elternteilen bleibt oft nichts anderes als der Weg zur Sozialhilfe (Bezug von Ergänzungsleistung - EL). Vielen gibt es der Stolz allerdings nicht zu, zur Sozialhilfe zu gehen, und sie leiden sich, ihre Familie und ihre Kinder, durch ihr Leben.

Noch zu gross ist das Stigma - "arm gleich faul oder unfähig". (ein Stigma - griechisch στíγμα für Stich, Wundmal - ist eine unerwünschte Andersheit gegenüber dem, was wir erwartet hätten. Ein Stigma ist eine Verallgemeinerung einer spezifischen Handlung oder Eigenheit einer Person auf deren Gesamtcharakter)

Sicher gibt es Menschen, deren Lust auf Arbeit nicht allzu gross ist, die gibt es in allen Kulturen. Beim genauen Hinsehen erkennt man leicht, dass es oftmals auch dafür Gründe gibt. Weit überwiegend betrifft es aber Menschen aus intellektuellen, gesundheitlichen oder marktwirtschaftlichen Gründen. Wir werden uns an das Zusammenleben mit Menschen ohne Arbeit, mit Arbeit ohne existenzsicherndes Einkommen, mit Teilzeitarbeit, etc. gewöhnen müssen. Vor allem Arbeit für Menschen mit weniger Schulbildung rationalisieren wir, oftmals zugunsten von Gewinnmaximierung, weg.

Neben den Menschen in der Grundschicht werden, wie bereits heute, in Zukunft zunehmend auch die Mittelschicht und Menschen mit höherem Bildungsniveau betroffen sein. Die künstliche Intelligenz (KI) wird viele Aufgaben übernehmen, welche Menschen mit hoher Bildung zugeordnet war. Viele Arbeitsstellen werden zudem von der Technik und von Robotersystemen wegrationalisiert werden. Meines Erachtens müssen wir bereits heute die Mittelschicht in zwei Schichten aufteilen. Für mich ersichtlich ist, dass sich die Mittelschicht teilen wird. Während die Oberschicht ihre Vermögen weiterhin erweitern und die obere Mittelschicht sich eine lebenswerte Existenz erhalten kann, wird die untere Mittelschicht um ihre Existenz kämpfen müssen. Die Unterschicht wird kaum noch über eine Existenzgrundlage verfügen und sich von der Hand in den Mund ernähren. Bereits heute erkennen wir eine Zunahme der Beschaffungs- und Bandenkriminalität. Diese wird, zum Zwecke der Lebenserhaltung und der Bereicherung, weiterhin zunehmen, wenn wir nicht verstehen lernen, was die Grundlage dafür ist. Die aktuellen Erkenntnisse sollten Anlass genug sein, um genauer hinzusehen, die Botschaften verstehen zu lernen und adäquat zu handeln. Wer glaubt, dass mit Gewalt und immer höheren Strafen das Problem bewältigt werden kann, irrt. Es müssen neue und adäquate Wege gesucht und konsequent umgesetzt werden. Wer ohne existenzsichernde Tagesstruktur an den Rand der Gesellschaft gedrängt, ausgegrenzt, diskriminiert, beleidigt und beschimpft wird, wird sich nicht mehr um Respekt und Anstand bemühen. Da ist der Weg in den Extremismus vorgegeben.

Ich bin davon überzeugt, dass wir das bedingungslose Grundeinkommen noch erleben werden. Wer sich darüber auslässt, dass das nur die Faulheit im Menschen fördert und nicht finanzierbar ist, sollte sich die aktuelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation vor Augen führen. Da werden immer wieder Sätze nachgeplappert, die das selbständige und realistische Denken in Frage stellen.

Wenn wir zusammenzählen, wieviel Geld wir in die Sozialhilfe und in die Arbeitslosigkeit investieren, sind ein Drittel der Beiträge des bedingungslosen Grundeinkommens bereits finanziert. Dazu kommt, dass alle Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen den Anteil ihrer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dem Staat rückfinanzieren müssen. Bleibt noch ein Rest, den wir bei der Krankenkasse, bei der Kriminalität, bei Vandalen Akten etc. teilweise einsparen können. Neu finanziert werden muss nur noch ein ganz kleiner Teil. Die Argumentation betreffend einer aufwendigen Administration ist beim derzeitigen Stand der Computertechnik unglaubwürdig.

Wir müssen lernen, dass es neben Arbeiten auch noch andere Lebensqualitäten gibt, die uns zu grosser Zufriedenheit verhelfen können. Ein Leben in Armut ist schwer erträglich und es kann jede und jeden jederzeit treffen. Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen. Dann werden wir uns beklagen, dass unser System dieses Problem nicht lösen kann. Privilegiert sein bedeutet wach und hilfsbereit sein!

Die Argumentation, dass damit mehr freie Zeit zur Verwirklichung eigener Träume zur Verfügung steht, ist nur bedingt richtig. Zudem stellt sich die Frage, ob das bisherige Leistungsdenken, die stete Gewinnmaximierung und ein Karrierestreben für alle Menschen gelten sollen. Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung weist eher daraufhin, dass vermehrt nach Lebensqualität, Familienzeit und Erholungszeit hingedacht wird. Wenn wir diese Entwicklung ignorieren, wird es viel mehr Menschen geben, die (in einer längeren Übergangsphase) mit der aktuellen Situation nicht fertig werden. Depressionen, Alkohol- und andere Suchtkrankheiten, Gewaltbereitschaft, die Kriminalität, etc. werden zunehmen, wenn wir nicht zuvor etwas unternehmen.

Solange sich unsere Gesellschaft über die Arbeit definiert und das Ausscheiden aus einem Arbeitsprozess sowie ein Leben ohne geregelte Tagesstruktur verpönt sind, bleibt ein Weg in die Einsamkeit und damit in die Krankheit. Die Suizidrate in der Schweiz betrug 2023 - 1'005 Menschen. Zwar ist sie abnehmend, in Bezug auf die Jugendlichen (18- bis 23-jährig) aber Besorgnis erregend.
(Mitten unter uns lebt über eine halbe Million Menschen die aktuell Suizidgedanken haben, über 200 000 haben in ihrem Leben mindestens einmal versucht sich das Leben zu nehmen, davon rund 33 000 in den letzten 12 Monaten. Diese Zahlen machen betroffen – und doch zeigen sie nicht das ganze Bild. In der schweizerischen Gesundheitsbefragung SGB nicht berücksichtigt sind z. B. Personen im Freiheitsentzug, in psychiatrischen Kliniken oder im Asylbereich, die überdurchschnittlich von Suizidalität betroffen sind. In der Schweiz begingen im Jahr 2016 rund 1000 Personen einen Suizid (exklusiv Sterbehilfe; BFS, 2018), die Suizidrate lag mit 12 Fällen pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner in Europa im durchschnittlichen Bereich  – Auszug aus dem OBSAM BULLETIN 7/2019).

Die Organisation ATD vierte Welt (www.atd.ch/de/) ist darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen Mitglieder werden. Damit könnte ihr Bekanntheitsgrad erweitert werden. Ich empfehle einen Beitritt sehr.

Ich bin sehr erstaunt darüber, wie wenig Menschen in der Schweiz (inkl. Soziale Institutionen) die ATD vierte Welt kennen. In Zukunft wird diese Organisation noch wichtiger werden.
 
Vision der ATD Vierte Welt (siehe: www.atd.ch/de/wer-sind-wir/vision/)
Die internationale Bewegung ATD Vierte Welt (All Together for Dignity – Gemeinsam für die Würde aller) ist eine Nichtregierungsorganisation ohne religiöse oder politische Zugehörigkeit. Ihr Ziel ist die Überwindung der Armut zusammen mit Menschen, die diese erleben. Seit 1967 in der Schweiz präsent, bringt die Bewegung Menschen mit unterschiedlichem sozialem und kulturellem Hintergrund zusammen, um gemeinsam über Armut und soziale Ausgrenzung nachzudenken, zu lernen und zu handeln. ATD Vierte Welt setzt sich für eine Welt ohne Elend und Ausgrenzung ein, so dass jeder Mensch:
  • in seiner Würde geachtet wird;
  • zum gesellschaftlichen Zusammenleben unter Achtung der Unterschiedlichkeiten beitragen kann;
  • alle Menschenrechte für sich beanspruchen kann;
  • an der Gestaltung einer fairen Wirtschaft unter Achtung der Umwelt teilhaben kann.
Die Gewalt von extremer Armut, Unwissenheit, Elend und Verachtung isoliert die Menschen und sperrt sie in Schweigen ein, manchmal bis zu dem Punkt, dass sie daran zweifeln, dass sie zur menschlichen Gemeinschaft gehören. Die Bündelung der Kräfte, um diejenigen zu erreichen, die in unseren Gesellschaften ausgegrenzt sind, und die Anerkennung des unverzichtbaren Beitrags der in Armut lebenden Menschen sind wesentliche Schritte zur Beendigung des Elends und zur Schaffung von Frieden.

Eine Gesellschaft, in der jeder einen Platz hat
Das Elend verurteilt immer noch Millionen von Menschen dazu, unter inakzeptablen Bedingungen zu leben, die die Menschenwürde verletzen. Menschen, die in extremer Armut leben, sind die ersten, die das Elend ablehnen. Sie verfügen über ein einzigartiges Wissen und eine einzigartige Erfahrung, die die Barrieren zwischen Menschen und Völkern niederreissen können. Wenn wir unseren Mut, unsere Intelligenz und unsere Kreativität vereinen, ist eine andere Welt möglich.