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Der Vagabund in mir!

Verschiedene Texte

Stiftung "Urgestein", ehemals "WG-Guggisberg 77B"

Stiftung "Urgestein", ehemals "WG-Guggisberg 77B"

24.10.2024 :: René H. Bartl

Die Stiftung Urgestein (ehem. Stiftung „Wohn-, Schul- und Therapieheim WG-Guggisberg 77B") hatte sich, nach der Pensionierung des Gründers René H. Bartl, unter Anderem, dafür eingesetzt, dass bestehende Hilfswerke ihre Konzepte gegen Sexuelle Viktimisierung (Kinder zu sexuellen Opfer machen) in Familien, Schulen und Heimen umsetzen können. Dazu wurde eigens eine „Denkfabrik“ ins Leben gerufen. Aufgrund deren Schlussbericht hatte sie sich mit einem Beitrag von CHF 40.000,00 an die Fachstelle Limita in Zürich (Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung), auch finanziell engagiert.

2020 hatte der bisherige Stiftungsrat seine Aufgaben abgeschlossen und die Stiftung mit der Liegenschaft Dorf 77B dem neuen Stiftungsrat übergeben. René H. Bartl war bis zur Übertragung an den neuen Stiftungsrat Präsident der von ihm gegründeten Stiftung.
 

Nachfolgend zusammengefasst die Geschichte der Institution in drei Teilen:
  • Erster Teil der Geschichte: "Die WG-Guggisberg 77B"
  • Zweiter Teil der Geschichte: "Die Stiftung Urgestein"
  • Dritter Teil der Geschichte: Die Nachfolgeregelung der "Stiftung Urgestein"!
 
Erster Teil der Geschichte: "Die WG-Guggisberg 77B"
René H. Bartl erzählt:
Wut kann durchaus konstruktive Kräfte auslösen. Es machte mich wütend, als ich 2001 erfuhr, dass ein Bundesgerichtsentscheid den, bisher bereits umgesetzten, dreimonatigen Ausschluss von Kindern und Jugendlichen aus den Schulen legitimierte. Ich wollte mehr darüber wissen und erkundigte mich an verschiedenen Stellen, so auch beim damalig zuständigen Berner Regierungsrat Mario Annoni (von 1990 bis 2006 sass der FDP-Politiker aus La Neuveville im Regierungsrat, führte erst die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion, stand später der Erziehungsdirektion vor). Die mir schriftlich vorliegende Antwort lautete: "Es gibt weder Konzept noch Geld, aber ein Gesetz"! Mir wurde damit klar, dass in Einzelfällen ein dreimonatiger Ausschluss wegen schlechtem Verhalten in der Schule für ein Kind ein "Schuss vor den Bug" sein kann und die Betroffenen (vor allem wohl die in der Pflicht stehenden Erziehungsverantwortlichen, in der Regel die Eltern) nach einer Möglichkeit suchen, die Situation zu ändern. Bis zum Ausschlussentscheid ist eine Familie mit ihrem Kind in der Regel sowohl in ihrem Umfeld und in der Schule derart stigmatisiert, dass eine Ausschlussdauer von drei Monaten nicht ausreicht, um eine Wiedereingliederung in die Schule und in die Gesellschaft zu gewährleisten (ein Stigma - griechisch στíγμα für Stich, Wundmal - ist eine unerwünschte Andersheit gegenüber dem, was wir erwartet hätten. Ein Stigma ist eine Verallgemeinerung einer spezifischen Handlung oder Eigenheit einer Person auf deren Gesamtcharakter). Auch die Familie wird in ihrem Wohnumfeld nach dieser Zeit nicht beliebter sein. Da bräuchte es klare Konzepte (mit z.B. sozialpädagogischer Familienbegleitung, o.ä.), dazu die nötige politische Unterstützung und die nötigen Finanzen.
 
Ein Kind aus einem bestehenden System auszuschliessen, ist eine sehr bedeutungsvolle Massnahme. Die Konsequenzen sind vielseitig. Traumatisierung, Bestätigung, Aggression, Wut, Resignation etc. sind folgenschwere Reaktionen, die ein Leben lang nachwirken können. Ein junger Mensch der wiederholt Ausschlüsse erleben muss, wird irgendwann nicht mehr daran glauben, dass er geliebt wird und in Geborgenheit leben kann. Er wird mit seinem Verhalten immer wieder die Bestätigung suchen und Ausschlüsse erzwingen.

Diese Erkenntnis und meine langjährige Berufserfahrung im sozialpädagogischen Tätigkeitsfeld waren Grund genug, das Tagungs- und Schulungszentrum, meiner Firma „BüroBartlBeratungen (BBB), in Guggisberg zu schliessen, eine Stiftung zu gründen und 2003 eine Institution für Kinder- und Jugendliche (Mädchen und Knaben) zu eröffnen, welche aus ihren Familien, ihren Schulen, aus Heimen oder aus Kliniken ausgeschlossen wurden. Ihre einzige Alternative war in der Regel ein Eintritt in eine geschlossene Institution (z.B. in ein Heim, in die Psychiatrie) oder ins Gefängnis. Wichtig war mir die Unabhängigkeit von staatlichen Interventionen und übermässigem administrativem Aufwand. Ich verzichtete deshalb auf Subventionen, trat der interkantonalen Heimvereinbarung nicht bei und lies die, auf privatwirtschaftlicher Basis funktionierende, Institution, dem für die Aufsicht zuständigen Kantonalen Jugendamt des Kantons Bern unterstellen. Dank eigenen finanziellen Ressourcen, mit Unterstützung einer Bürgschaftsgenossenschaft, der Absicherung durch eine Lebensversicherung und grosszügigen Darlehensgebern und Darlehensgeberinnen, konnte das Projekt startfinanziert werden. Als Pionier und um mein Konzept persönlich zu vermitteln, lebte ich über die Einarbeitungszeit der Mitarbeitenden während dreier Monate in der Institution. Alle Warnungen, dass dieses Projekt keine Chance zum wirtschaftlichen Überleben habe und ich "verlumpen" werde, haben mich zusätzlich motiviert das Risiko einzugehen.

Da meine Institution im schweizerischen sozialen Angebot eine "Marktlücke" schloss, arbeitete ich inskünftig mit 12 Kantonen zusammen. Darunter mit Sonderbewilligungen auch solche, die eigentlich nicht ausserkantonal platzieren. Aus Ermangelung einer besseren Alternative (und wohl auch weil es bei uns günstiger war) waren alle sieben Plätze immer ausgebucht. Zusammen mit meinem sehr kompetenten Team in den Bereichen Wohnen, Schule, Werkstätte und begleitetes Wohnen (als Phase vor dem Übertritt in ein eigenverantwortetes Leben), erreichten wir mit einer durchschnittlichen Erfolgsquote von 85%, dass die Jugendlichen nicht in geschlossene Institutionen oder ins Gefängnis übertreten mussten.
Gemäss dem auf diese besonderen Anforderungen angefertigte Konzept, waren die Aufgaben für alle Beteiligten (Jugendliche, Team, Familien, Behörden etc.) sehr komplex und intensiv. Die Auswahl und Zusammensetzung der Teammitglieder erfolgte nach besonderen Massstäben und setzte hohe Erwartungen. Der Erfolg gab uns recht und machte uns immer wieder Mut. 2008 konnten wir eine zweite Liegenschaft kaufen, das Angebot erweitern und verbessern. Noch heute bestehen viele Kontakte mit ehemaligen Jugendlichen, die jetzt erwachsen, selbständig, teilweise verheiratet sind und selbst Kinder haben.

Nach 12 Jahren Geschäfts- und Heimleitung hatte ich die Institution 2015 an meinen Nachfolger verkauft und mein Pensionskassengeld wieder in die Altersversorgung reinvestiert.

Ein Pionier muss nach seinem Rücktritt sein "Kind" verlassen. Aus diesem Grunde habe ich mich vollständig von der Institution gelöst, bin nach Rüschegg Heubach umgezogen und habe die Liegenschaft Dorf 70B verkauft. Da ich die erste abbruchreife Liegenschaft (Dorf 77B) mit meinem Sohn und vielen Handwerkern zusammen von Grund auf renoviert und auch in die zweite Liegenschaft (Dorf 70B) viel Zeit und Geld investiert hatte, fiel mir der Abschied nicht leicht. Die Liegenschaft Dorf 77B wurde an den neuen Stiftungsrat übergeben. Gefühle sind das eine, die Vernunft das andere. Es war für mich ein schwerer Schritt, aber es war richtig so!

Zweiter Teil der Geschichte: "Die Stiftung Urgestein"
Bei meinem Abschiedsanlass im Hotel Sternen in Guggisberg bezeichnete mich der damalige Präsident von SocialBern (Regionalverband von Curaviva Schweiz) Urs Wüthrich, in seiner Laudatio, als ein Urgestein. Aufgrund meines Alters und meiner Berufserfahrung eine schöne Bezeichnung. Um mich ganz von der Institution zu lösen und um nicht mit dem Namen zu Konkurrenzieren, wechselte die Stiftung ihren Namen und heisst heute Stiftung "Urgestein". Nach meinem Austritt aus dem operativen Geschäft übernahm ich das Präsidium selbst. Auf der Suche nach einer dem Stiftungszweck entsprechenden Aufgabe gründeten wir eine "Denkfabrik". Diese sehr aktive Gruppe unterbreitete der Stiftung Vorschläge. Letztendlich hat der Stiftungsrat entschieden, sich mit dem aktuellen Thema "Sexuelle Viktimisierung" von Kindern und Jugendliche zu beschäftigen. Wir beauftragten die Wissenschaftlerin Frau Prof. FH Dr. Gabriele Stemmer Obrist eine Studie zu diesem Thema zu erstellen. Unterstützung bot uns auch Frau Prof. Dr. Imelda Abbt (Theologin, Philosophin und Anthropologin). Aufgrund dieser sehr umfangreichen "Recherche zu Literatur und Forschungsstand zum Thema sexuelle Viktimisierung von Kindern und Jugendlichen, mit Schwerpunkt Heime und Institutionen" und einer entsprechenden umfangreichen und sehr kompetent verfassten Anfrage, entschieden wir uns für eine Zusammenarbeit mit der Fachstelle Limita (Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung). Diese im Kanton Zürich subventionierte Organisation kann auch in anderen Kantonen, allerdings ohne Subventionen, aktiv werden. Um das zu ermöglichen, hat die Stiftung "Urgestein" die Subventionierung ausserhalb des Kantons Zürich, mit einem Betrag von CHF 40.000,00 übernommen. Bis zum Verkauf der Liegenschaften hatte der Stiftungsrat seine Finanzen eingefroren.

Dritter Teil der Geschichte: Die Nachfolgeregelung der "Stiftung Urgestein"!
Anlässlich eines öffentlichen Anlasses hat der bisherige Stiftungsrat seine Aufgaben an den neuen Stiftungsrat, unter dem Präsidium von Oliver Schneitter, übertragen. Die Liegenschaft Dorf 77B funktioniert weiterhin mit einem sozialen Auftrag (www.stiftung-urgestein.ch).
„Die Stiftung Urgestein fördert Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen durch nonformale Lernangebote und Freiwilligeneinsätze. Zusätzlich verfügt die Stiftung über ein Seminar- und Lagerhaus, welches auf dieser Webseite gebucht werden kann.“